Spielbericht

26. Spieltag - Regionalliga Nord - Saison 2001/2002
Chemnitzer FC
Chemnitzer FC
0:2
FC Erzgebirge Aue
FC Erzgebirge Aue

CFC ohne Mumm / Derbykäse nach 10 Minuten gegessen

von Frank Neubert

Offizieller Bericht des "Neuen Deutschlands", Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED)...

Berlin (adn). Im heutigen Rückspiel des UEFA-Cups erzwang der letzte ostdeutsche Vertreter, der ruhmreiche FC Karl-Marx-Stadt, dank einer ausgeklügelten Abwehrtaktik den Einzug in die dritte Runde des europäischen Wettbewerbs. Vor dem Anstoß zeigten die Jungpioniere des FCK eine schöne selbstgestaltete Choreografie, welche zur nächsten Schachweltmeisterschaft in Berlin, Hauptstadt der DDR, uraufgeführt werden soll. Der Klassenfeind aus Aue, nunmehr beheimatet in dem vor 3 Jahren an die westdeutsche Victoria-Versicherung verkauften Erzgebirgsstreifen, konnte nur in den Anfangsminuten seine selbst gestellten Ansprüche auf ein Weiterkommen im Cup untermauern. Die unter arttypischen politischen und medialen Getöse angereisten Gäste aus der westdeutschen Enklave überraschten die himmelblauen Hausherren, welche in den Anfangsminuten ihre gewohnte Souveränität etwas vermissen ließen, und gingen glücklich mit 2:0 in Führung. Das gute Resultat des Hinspieles (3:0 für den FCK) geriet somit zwischenzeitlich in Gefahr, doch der souveräne Mannschaftskapitän Bittermann organisierte vor den Augen des komplett auf der Tribüne sitzenden Rates des Bezirkes ein Abwehrbollwerk, welches bis zur Pause keine weiteren Tore des Erzfeindes zuließ. Unverständlich daher die Pfiffe von subversiven Elementen unter den Zuschauern, welche die aufopferungsvolle Abwehrschlacht mit Pfiffen quittierten.

Nach der Pause unschöne Szenen im Gästeblock, als westdeutsche Hooligans mit einer Rauchbombe einen Spielabbruch auf dem sozialistischen Boden des Dr.-Kurt-Fischer-Stadions erzwingen wollten. Dank des besonnenen Einsatzes der Kräfte der Volkspolizei konnte eine weitere Eskalation vermieden werden. Auf dem Rasen wurden die Kicker aus dem Gebiet der grauen Randfichten nun immer mehr in die Defensive gedrängt und der FCK schickte sich nach der passiven ersten Hälfte an, selbst Torgefahr zu entwickeln. Besonders agil tat sich dabei der letztjährige Westimport in himmelblauen Diensten, Rainer Krieg, hervor, welcher jedoch eine von insgesamt 3 guten Einschußmöglichkeiten nicht ausnutzen konnte. Lob an die taktische Meisterleistung des FCK-Trainers, dem Gegner jetzt eine Art von Heimoffensive vorzugaukeln, um das 0:2 halten und ohne nennenswerte Torchancen für den Gegner locker über die Runden bringen zu können.

Am Ende klatschten die himmelblauen Anhänger tosenden Beifall (die Anwesenden erhoben sich dabei von ihren Plätzen) und feierten mit Sprechchören und vielen schönen Winkelementen das Weiterkommen im UEFA-Cup. Beide Trainer sprachen nach dem Spiel von einem ansehnlichen Kampf, in dem der FCK durch den wesentlich überzeugenderen Auswärtssieg im Herbst letzten Jahres vollkommen verdient als Matchwinner beider Partien eine Runde weitergekommen ist.


Interner Bericht der örtlichen SED-Bezirksleitung, Sektion Leistungssport (Streng vertraulich !!)...

Karl-Marx-Stadt (mfs). Es ist dringend anzuraten, daß die verantwortlichen Genossen in den Betrieben in Karl-Marx-Stadt und Umgebung am Montag darauf drängen, daß alle Werktätigen den offiziellen Bericht des "Neuen Deutschlands" lesen und verinnerlichen. Eventuelle gegenteilige Meinungen von Bürgern, welche bei dem Spiel zugegen waren, und keine ideologisch saubere Haltung verbreiten, ist vehement entgegenzutreten. Als Argumentationshilfe mögen den Genossen vor Ort hiermit einige Anmerkungen zum tatsächlichen Geschehen auf dem Rasen gegeben werden...

Zu Spielbeginn hatte sich eine stattliche Kulisse von 8.130 Zuschauern versammelt, darunter ca. 1.200 Fans aus dem ehemaligen sozialistischen Bergbauland, welche mit Fahnen wie "Chem-Cats-Henker" ihre Abneigung gegen den Fußballclub unserer Bezirksstadt wie erwartet zum Ausdruck brachten. Diesem unsportlichen Verhalten setzte zu Spielbeginn sogleich die bekannte aktive Pioniergruppe "Ultras" ihre Choreographie entgegen, als über der Südkurve eine große Krone hochgehalten wurde, darunter die Buchstaben "FCK" zu lesen waren und an der Bande der Schriftzug "Der König schlägt alle Schach(t) matt" zu lesen war. Vorschlag: Beim nächsten Fahnenapell vorzeitige Aufnahme dieser Pioniere in die Reihen der FDJ...

Als Schiedsrichter Minskowski das Spiel anpfiff, erwarteten alle Zuschauer und ganz besonders die anwesenden hohen Genossen vom FCK, daß dieser trotz der letzten schwachen Auftritte eine ebenso eindrucksvolle Demonstration der Überlegenheit ostdeutscher Fußballkunst zelebrieren möge, wie schon beim Hinspiel in Aue. Leider mußten diese Hoffnungen schon zu Beginn begraben werden, als der nordböhmische Legionär in Auer Diensten, Radek Sionko, nach einem Freistoss von rechts höher als Hauptmann steigt und den Ball per Kopf in die lange untere Ecke des himmelblauen Kastens befördert. Sportfreund Klömich, der die gesperrten FCK-Torhüter Hiemann und Süssner vertrat, machte dabei keine gute Figur. Vorschlag: Degradierung von Hauptmann zum Oberleutnant und öffentliche Stellungnahme von Klömich bei der nächsten FCK-Mitgliederversammlung...

Im Gegenzug versuchte zumindest Genosse Hauptmann seinen Fehler wieder gut zu machen, indem er auf rechts mit nach vorn stieß und den Ball zu Kollege Meissner flankt, dessen Schuß aber neben das Tor geht. Die Elf aus unserer Bezirksstadt machte aber bereits in dieser Phase einen viel zu passiven Eindruck und war nicht in der Lage, die quirligen Angriffe des Gegners unter Kontrolle zu bringen. Der nächste Schock für die Himmelblauen erfolgte in der 11. Minute, als die aufgerückte Abwehr auf Abseits spielt und der Linienrichter den republikflüchtigen Vaterlandsverräter Tetzner und Maik Kunze übersieht - Kunze ersprintet sich den langen Pass und stürmt allein auf Klömich zu, welcher diesmal keine Abwehrchance besitzt und den Ball zum 0:2 passieren lassen muß. Die anwesenden Auer Fans feierten ausgelassen hinter dem antiuranischen Schutzwall des Gästesektors. Vorschlag: Überprüfung der Höhe unserer Zahlungen an die anreisenden Schiedsrichterkollektive...

Der FCK war nun komplett von der Rolle und nur noch ein bedauernswerter Spielball in den Händen eines rachsüchtigen Kontrahenten. Kein Anzeichen von Kampfkraft oder Spielkultur, keinerlei Aufbäumen gegen die Diktatur des Klassenfeindes. Klömich verhindert bei einem Konter mittels beinahe verunglückter Fußabwehr das mögliche 0:3 durch Heidrich. Einzig erstaunliche Tatsache war, daß der Auswärtsmob aus der erzgebirgischen Enklave nur selten zu hören war - ganz im Gegensatz zur Stimmung im Hinspiel, als die FCK-Fans nach dem 1:0 zur Dauerfeier ansetzten. Zwischenzeitlich spielte auch das Wetter verrückt, da halbfertige Rohbauteile für Schneemänner von oben herabfielen. Das Flutlicht wurde angekurbelt, ein orangefarbener Ball vom VEB "Plastikunst" ins Spielgeschehen geworfen und der Straßenwinterdienst der Bezirke Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Dresden in Alarmbereitschaft versetzt. Vorschlag: Bessere Grenzkontrollen bei den Gästefans, damit die nicht wieder ihre Unwetter aus den Bergen ins Tal einschleppen...

Um die Werktätigen an den Bildschirmen nicht weiter zu entrüsten und zu empören, wurde vom Fernsehen der DDR bis zur Halbzeit ein Leitungsschaden vorgetäuscht, um die Originalübertragung aus wichtigen Grund abbrechen zu können. Den Genossen von der Bezirksleitung stieß besonders bitter auf, daß sich der Gegner als bis in die Haarspitzen motiviert erwies, der stets einen Schritt schneller am Ball und gedanklich immer einen Spielzug voraus war. Besonders negativ fiel beim FCK der neue Sportkamerad Bustos auf, den man informieren sollte, daß nach neuesten sportwissenschaftlichen Erkenntnissen der Ball vorzugsweise zum eigenen Mann gespielt werden soll. Aber auch die Genossen Tchipev, Meissner, Fröhlich und Mehlhorn dürften demnächst einige negative Anmerkungen in ihrer Personalakte vorfinden. Vorschlag: Dem FCK ist sofort die Wanderfahne "Kollektiv der hervorragenden sozialistischen Arbeit" zu entziehen...

In der Halbzeit nahm der Übungsleiter der Karl-Marx-Städter, Genosse Schulz, einen Wechsel vor - für Bustos kam der im letzten Sommer aus dem Westen unter dubiosen Umständen übergelaufene Rainer Krieg, der auch sofort im Angriffsspiel der Himmelblauen für Belebung sorgen sollte. Im Gästeblock stieg jetzt eine riesige schwarze Rauchsäule in die Höhe, welche doch sehr an die von den FCK-Fans in Aue vorgetragene Pyroshow erinnerte. Nur am Rande sei bemerkt, welches System sich allein dadurch als das Ideengebende und welches sich als das Ideennehmende erwiesen hat - der Slogan "Bessermachen ohne Nachzumachen" als Systembeweis. In der Folgezeit kam der FCK nun langsam in Schwung, ohne allerdings so richtig überzeugen zu können. Selbst dem wohlwollenden Auge der Partei blieb nicht verborgen, daß die scheinbar zunehmende Spielstärke eher dem Gegner zuzuschreiben war, der sich noch mehr zurückzog, um mit einen Konter das 0:3 erzielen zu können. Vorschlag: Ein Samowar-Abend des FCK mit Torpedo Moskau, um Heimstärke und internationale Erfahrungschätze erwerben zu können...

Nach ca 60. Minuten dann endlich die erste richtige Torchance für unsere himmelblauen Sozialisten, als Meissner völlig frei zum Kopfball kommt - aber die Kugel fliegt sträflich weit neben den linken Pfosten. Kurz darauf hat der vom ehemaligen Traditionsverein Dynamo Dresden über Umwege nach Karl-Marx-Stadt delegierte Ex-Auswahlkicker Fröhlich eine Riesenchance zur Resultatsverkürzung, doch der Ball geht ebenso in die Wolken wie bei den vorherigen wenigen Szenen. Übungsleiter Schulz zog nun seine letzte Trumpfkarte, indem er den kampfeslustigen Agitator der örtlichen Betriebskampfgruppe, Ingo Walther, ins Spiel bringt. Aber auch er kann nicht verhindern, daß die leidliche Zwischenoffensive des FCK nach 20 Minuten mit einer letzten Chance für Krieg, der den Ball fallend in die Arme des Torwarts spitzelt, ihren Abschluß findet. Vorschlag: Eiligste Einberufung eines GST-Zeltlagers unter Leitung des verdienten Genossen Bähringer, der den anwesenden Akteuren demonstrieren soll, wie man den Ball bedient...

Gegen Ende der Partie wurde auch dem Gästeblock noch einmal gestattet, unter volkspolizeilicher Aufsicht das Wort zu ergreifen, so daß die letzten 5 Minuten unter dem provozierenden Gesang der erzgebirgischen Klassenfeinde zu Ende gebracht werden mußten. Wenigstens hier funktionierten die gut einstudierten Fischerchöre und zerstörten wie schon während des Spiels jegliche "Aue"-Äußerungen mit gut platzierten "Schweine"-Refrains. Auch das neu vorgetragene Liedgut "Schaut her, da steht er - der Tetzner, der Verräter" wird in der nächsten DT64-Hitparade wohl vorderste Plätze belegen. Vorschlag: Aufnahme einer Amiga-Langspielplatte mit den Fischerchören...

Letztlich bleibt am Rande des Spiels aber festzuhalten, daß sich das Spielerkollektiv des FCK mit dieser systemschädigenden Leistung öffentlich blamiert hat und für die Folgen einer nachträglichen Medienkorrektur im Sinne des "Neuen Deutschlands" schonunglos intern zur Rechenschaft zu ziehen ist. Mit derartigen Leistungen kann es im Fussballsport der DDR nicht weitergehen und schon gar nicht vorwärtsgehen. Sowohl mit den einzelnen Spielern als auch den Verantwortlichen wird es in den nächsten Tagen Gespräche geben, die eine Aufklärung über dieses sportpolitische Versagen geben sollen. Schriftliche Stellungnahmen von Spielern und Trainern werden an die zuständigen Kontrollorgane der Partei und selbstverständlich nach Berlin weitergeleitet. Eventuelle Aktionen der Fans, die die schlechte Einstellung ihrer Mannschaft öffentlich kritisieren wollen, sind dabei unter dem Deckmantel der FDJ und SED möglichst intern zu handhaben.

Wertung: 5,5

Beste Himmelblaue: Hauptmann, Krieg

» zur Bildergalerie...

Pressestimmen

Freie Presse - Lokalsport Chemnitz
Chemnitzer FC: Elfmal Rudi Ratlos auf dem Platz - Himmelblaue mit desolater Vorstellung beim 0:2 (0:2) gegen Aue vor über 8000 Fans

Freie Presse - Lokalsport ASZ
FC Erzgebirge Aue: Rache ist sooo süß - [..] Zumal die Gastgeber sozusagen mit einem Veilchen davonkamen. Hätten sie sich doch auch über eine höhere Niederlage nicht beklagen können. [..] mehr als zwei, drei halbwegs gefährliche Aktionen vor dem Tor von Russi Petkov in den letzten 20 Minuten des Spiels brachte der CFC nicht zu Wege.

Morgenpost Chemnitz
Himmelblaue Fans sauer: "Wie unter Karkuth" - "Die spielen einen Schweinestiefel" - Veilchen im Stile einer Heimmannschaft [..] Ausgerechnet der Erzfeind versetzte den Himmelblauen den Dolchstoß - blutete die letzten Hoffnungen in Richtung Aufstieg in die 2. bundesliga kaltblütig aus! [..]

Kicker-Online
CFC mit dem 0:2 noch gut bedient - Die Gäste aus Aue erwischten den CFC im eigenen Stadion und vor stimmungsvoller Kulisse eiskalt. Chemnitz erholte sich von diesem Schock nie und war mit dem 0:2 letztlich noch gut bedient. Gegen Kunze rettete Klömich (66.), beim Freistoß von Grund sprang der Ball von der Lattenunterkante (78.) zurück. Die Auer setzten [..] die taktische Marschroute hervorragend um und waren den Gastgebern in puncto Zweikampfverhalten und Aggressivität deutlich überlegen. Der Aufstiegszug ist für den CFC damit endgültig abgefahren. [..]

26. Spieltag - Regionalliga Nord - Saison 2001/2002
Samstag, 23. März 2002, 14:00 Uhr
Fischerwiese, Chemnitz
Zuschauer: 8.130
Schiedsrichter: Minskowski (Hanstedt)
Chemnitzer FC
T Klömich
A Göhlert
A MehlhornGelbe Karte
A Bittermann
M Ratkowski (64. Walther)
M Podszus
M HauptmannGelbe Karte
M Tchipev
M Bustos (46. Krieg)
S Meissner
S Fröhlich

Trainer: Schulz
FC Erzgebirge Aue
T Petkov
A Hasse
A Noveski
A GrundGelbe Karte
M Kurth
M Heidrich
M Sionko
M Tomoski
S Tetzner
S Kunze
S Broum

Trainer: Schädlich
Tore
0:1 Sionko (4.)
0:2 Kunze (10.)