DFB-Länderspielpremiere an der Gellertstraße gegen den U-21-Vize Europas ...

19.03.2002 von Timo Görner
... denn das Spiel am 26.03.2002 auf der Fischerwiese ist das definitiv erste Länderspiel einer DFB-Auswahl seit der Fußball-Wiedervereinigung 1990/1991 und auch zu den "guten alten Zeiten" vor der politischen Vereinigung der beiden deutschen Republiken waren diesbezügliche Ereignisse in der Arena an der damaligen Leninstraße auf dem Sonnenberg mehr als selten, eigentlich ist lediglich das Spiel der damaligen U-23 bzw. "Nachwuchsauswahl" der DDR gegen Frankreich am 10.09.1985 eine Erwähnung wert und hatte so was wie Interesse der Chemnitzer und allgemein ostdeutschen Fußballfreunde auf seiner Seite. Es endete vor ich erinnere mich dunkel rund 8.000 Zuschauern mit 1:1 und war in der Hinsicht kurios, dass der spätere Bundesligakicker Thomas Doll (damals noch für den heutigen Bundesligisten aus Rostock und damaligen Absteiger der Saison 1985/1986 in der DDR-Oberliga am Ball) beide Tore erzielte. Die damalige U-21 der DDR scheiterte in der EM-Qualifikation an den Mannschaften Frankreichs, Bulgariens, Luxemburg und Jugoslawiens ebenso wie die "richtige Truppe", die mal wieder durch einen dürftigen Start mit 2:6 Zählern alle Chancen verspielte und auch nicht mehr durch eine enorm starke Serie mit 4 Siegen in 4 Spielen in der Rückrunde mit dem ebenso sensationellen wie eindrucksvollen 2:0 vor 73.000 Zuschauern gegen Europameister Frankreich retten konnte was zu retten gewesen wäre. Den Schlusspunkt setzte man übrigens in Karl-Marx-Städter "Ernst-Thälmann-Stadion", dem heutigen "Hauptstadion im Sportforum" vor vollem Haus (32.000 Leutchen, heute kaum noch vorstellbar) mit einem 2 : 1 gegen die schon qualifizierten Bulgaren. Es war saukalt und Rene Müller als Keeper der DFV-Auswahl hielt wie schon in Belgrad gegen die Jugoslawen einen Elfmeter, Rainer Ernst empfahl sich als "Urahn" von Jürgen Klinsmann mit seiner einzigartigen Ballbehandlung und wurde vom bekannt "Berlinfreundlichen Gorl-Morgs-Städter" Fußballpublikum nach allen Regeln der Kunst gemobbt, dazu verhöhnten Antifans der DDR-Auswahl (soll es ja auch ein paar gegeben haben) Zuschauer vor dem Eingang an der Kreuzung Reichenhainer Str. - Seelenbinder-Str. aus der Arena strömende und bedröppelte Zuschauer ("Scheiße war´s mit Mexiko !").
Vom damaligen FCK durfte lediglich ab der 77. min. übrigens der legendäre, unvergessene und vermutlich bestaussehenste Karl-Marx-Städter bzw. Chemnitzer Kicker aller Zeiten mitwirken, nämlich Michael Glowatzky als Erfinder des "unsichtbaren Haarnetzes". Ansonsten war die DDR-Auswahl in der damaligen Zeit ein Konglomerat der Berliner, Leipziger und Dresdner Kicker, "garniert" mit Exoten wie dem Erfurter Jürgen Heun. Zu sehr steckte der FCK damals im Mittelmaß des eh schon mittelmäßigen DDR-Fußballs, erst fast exakt 1 Jahr später am 19.11.1986 kam mit Rico Steinmann neben Matthias Sammer als einer der Junioren-Europameister von Jugoslawien 1986 ein "Himmelblauer" zu Auswahlehren. Und der gute Rico lieferte damals bis zu seiner Auswechslung in der 62. min. übrigens gegen Hans Richter eine wie ich mich erinnern kann durchaus gute und solide Vorstellung als Joungster der Stange-Truppe. Danach reichte es noch zu 22 Einsätzen, beim ultimativ letzten Länderspiel der "Auswahl mit Hammer und Zirkel" meldete sich Rico dann verletzt und war es wohl im Gegensatz zu den anderen 12 "Absagern" auch wirklich.

Karl-Marx-Stadt erlebte dann auch das vermutlich letzte Länderspiel einer DDR-Auswahl, als in "Erichs Staat" noch alles offiziell normal lief, die berühmte "K..." aber schon mächtig am Dampfen war. Exakt am 08.10.1989, als die marode DDR 40 Jahre und 1 Tag alt war besiegte die DFV-Auswahl u. a. mit Rico Steinmann den damaligen Vize-Europameister UdSSR nach einem packenden Schlussspurt mit 2:1, nach dem man mit 0:1 zurücklag. Die Schatten des "Prügelgeburtstages" auch im damaligen Karl-Marx-Stadt vor allem in der Gegend um die heutige Reitbahnstraße hatten sich aber auch schon auf dieses Ereignis geworfen. 15.900 Zuschauer waren gekommen, davon rund 6.000 "Freunde" wie es damals hieß, d. h. Soldaten der in Kalle Malle in Nähe der Gellertstraße und anderswo in der DDR stationierten Streitkräfte der Roten Armee mit ihrer Mischpoke. Originellerweise überall im Stadion verteilt und das Führungstor durch Litowtschenkow mit ihren knallroten Winkelementen aus Papier und Stoff bejubelnd. Bei der Nationalhymne der Gastgeber blieb knapp die Hälfte der ostdeutschen Fans demonstrativ sitzen, eben eine Atmosphäre wie kurz vor einer Beerdigung. Passierte dann ja auch wenige Wochen später. Brisanz hatte die Partie aber auch dadurch, dass sie eigentlich in Leipzig steigen sollte, wo man ja die ganz wichtigen Matches austrug, 8 Wochen zuvor verlegte man diese eilends nach Karl-Marx-Stadt, offiziell wegen der "eingetretenen Bedeutungslosigkeit durch die schlechte sportliche Situation in der Quali-Gruppe" und der damit zu erwartenden geringeren Zuschauerzahl. Hintergründig wurde aber gemunkelt, dass man in Leipzig bei diesem Spiel neue Unruhen und Demos befürchtete. Na ja, sei es wie es sei. Ich hab das Spiel live gesehen, obwohl mich meine Eltern damals am liebsten irgendwo angebunden hätten. Einen Vorteil hatte die enorme Polizeipräsenz und die damalige Zeit allgemein, man konnte sein S 51 als Kultobjekt bedenkenlos vor dem Sportforum abstellen. ;-)

Das nächste Länderspiel der DDR in der damals schon geilsten Stadt der Welt sahen dann noch weniger Fans, offiziell 1.000 gegen Ägypten, man sprach aber eher von 600 Freunden des runden Leders und Ede Geyer als Coach der Gastgeber "fühlte sich beschissen". Diese Zuschauerzahl war wohl auch absoluter Minusrekord im DDR-Auswahlfußball der A-Nationalmannschaft und vermutlich auch im gesamtdeutschen Rahmen seit 1945. Nun ja, es war eben eine ganz besondere Zeit damals, April 1990 mit der Gewissheit nach den ersten freien Wahlen auf ostdeutschem Boden seit 1933 dass diese Auswahl eine Art "Auslaufmodell" präsentiert. Für 2 Spieler muss diese Kulisse besonders frustrierend gewesen sein. Rico Steinmann wirkte bis zur 84. min. mit und wurde dann gegen Steffen Heinrich ausgetauscht. Noch vor wenigen Monaten im späten November 1989 trat man gegen Juventus Turin vor über 20.000 im selben Stadion an den Ball.

Allgemein war Karl-Marx-Stadt ein sportlich sehr gutes Pflaster für die A-Auswahl der nicht mehr existenten DDR. In 7 Länderspielen, darunter 3 um Quali-Punkte für EM und WM gab es 7 Siege, der Kreis wurde am 20.09.1956 vor, man kann es heute kaum glauben, 50.000 Zuschauern im "Thälmann-Stadion" gegen Indonesien mit einem 3:1 eröffnet und schloss sich wiederum mit ein paar Hundert Anwesenden im April 2000 gegen Ägypten. Seitdem hat die geilste Stadt der Welt kein offizielles Länderspiel des nunmehr wiedervereinigten DFB mehr gesehen, wie auch der gesamte Bereich des NOFV innerhalb des größten Sportverbandes der Welt. 1992 bestritt Rudi Völler in Dresden sein "Abschiedsspiel" gegen Mexiko, was etwas mager für die Gastgeber 1:1 endete. Erst fast 10 Jahre später befand man das neue Rostocker "Ostseestadion" für würdig genug, ein A-Länderspiel auszutragen. Punktspiele der DFB-Elitetruppe im Rahmen von EM-und WM-Qualifikation sucht man bislang vergebens und es wird wohl noch eine Weile leider Praxis bleiben, selbst "Gurkenspiele" wie gegen Liechtenstein u. a. ähnliche "Fußball-Zwerge" nach Leverkusen oder Mannheim zu vergeben. Schade eigentlich, vergisst man doch hier an bestimmten Stellen, dass gerade im "Osten" schon vor 1990 die treuesten und begeisterungsfähigsten Freunde der schwarz-weißen Auswahl lebten. Somit bleiben Auftritte von Völlers Truppe im Osten auch in nächster Zeit eher eine seltene Ausnahme (rechnet man 2 Länderspiele in 10 Jahren mal hoch), wäre theoretisch das nächste erst in 5 Jahren, also frühestens 2007. Und Chemnitz wird dann wohl kaum zu den ersten Adressaten zählen, kennt man die "bescheidenen Ansprüche" des DFB an seine Stadien. Es sei denn der CFC muss die Gellertstraßen-Arena oder in diesem Fall das "Hauptstadion im Sportforum" für die 1. Bundesliga und sogar internationale Spiele aufmotzen. Aber wohl eher unrealistisch, oder ?