Weshalb es für Samstach gut aussieht...

Zum Spiel Chemnitzer FC - SC Verl (3:1)
18.04.2002 von Ritter Runkel
Liebe Freunde argentinischer Kurzhaarfrisuren,

nach Essen konnte ich diesmal leider nicht mitfahren, obwohl ich es gerne wäre. Ich hatte sogar schon den Schlafanzug ausgezogen. Beim Zähneputzen hatte ich dann zuviel Zahnpasta aus der Tube gedrückt, und es hat einfach tierisch lange gedauert, bis sie wieder drin war. Naja, zumindest zu seligen Schulzeiten war das immer eine Top-Ausrede. Wie dem auch sei, meine Statistik hat mich wider Erwarten angelogen, und das nehme ich ihr auch ziemlich übel. Wenigstens wurde von einem guten Spiel berichtet - warum haben die Jungs nicht so gegen den Schacht gespielt? Was hätten wir nicht alles für unser Torverhältnis tun können... Vorbei, verweht, ... ~seufz~

Nun begrüßen wir die hartgesottenen Profis aus Verl auf der Fischerwiese. Bislang dachte ich ja immer, daß Verl die Abkürzung für "Verlierer" ist, aber da fehlt ja der abkürzende Punkt. Außerdem haben die CFC-Mannen schon zweimal mehr verloren als die Verler (Verlierer klingt doch schöner!)... Aber für den 20. April & Co. sieht's nicht übel aus.

24.04.1955: BSG Chemie Karl-Marx-Stadt vs SC Rotation Leipzig 1:1

16.04.1966: FC Karl-Marx-Stadt vs FC Rückwärts Berlin 0:1

22.04.1967: FC Karl-Marx-Stadt vs 1.FC Union Berlin 2:2

19.04.1969: FC Karl-Marx-Stadt vs BSG Sachsenring Zwickau 1:1

18.04.1970: FC Karl-Marx-Stadt vs SG Dynamo Dresden 0:2

16.04.1977: FC Karl-Marx-Stadt vs 1.FC Magdeburg 1:2

19.04.1980: FC Karl-Marx-Stadt vs SG Dynamo Dresden 1:3

17.04.1982: FC Karl-Marx-Stadt vs BSG Chemie Buna Schkopau 6:0

16.04.1983: FC Karl-Marx-Stadt vs FC Rot-Weiß Erfurt 2:1

21.04.1984: FC Karl-Marx-Stadt vs BSG Chemie Leipzig 2:1

18.04.1987: FC Karl-Marx-Stadt vs BSG Wismut A** 0:0

16.04.1988: FC Karl-Marx-Stadt vs FC Hansa Rostock 1:1

18.04.1989: FC Karl-Marx-Stadt vs BSG Sachsenring Zwickau 1:0

24.04.1993: Chemnitzer FC vs FC 1908 Homburg 2:1

22.04.1994: Chemnitzer FC vs FC Hansa Rostock 3:0

24.04.1999: Chemnitzer FC vs 1.FC Union Berlin 2:0

24.04.2000: Chemnitzer FC vs FC St. Pauli 1910 1:3

Weil wir noch nie an einem 20. April ein Heimspiel hatten. Aber das muß noch nichts heißen. 17 Spiele bisher - wir müssen wieder den Rotstift ansetzen, und zwar trifft es wieder mal die NVA'ler (1966) wegen offenkundiger Schiebung sowie das 2000er Heimspiel gegen Pauli, das als DSF-Live-Montagsspiel dem Naturgesetz unterlag, daß der CFC solche Spiele grundsätzlich verliert. Bleiben also 15 Begegnungen mit 7 Siegen, 5 Remis und 3 Pleiten. Wenig ermutigend.

Es fällt auf, daß es einigermaßen gedauert hat, bis der Knoten geplatzt ist. Daß der erste Sieg erst 1982 errungen wurde, ist ein bißchen dürftig. Selbst im Meisterjahr gelang kein voller Erfolg. Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die FCK-Kicker in den letzten Apriltagen eines jeden Jahres voll in die Vorbereitungen zur Maidemo eingebunden waren. Um das zu untermauern, werfen wir einen Blick ins FuWo-Sonderheft 1988. Der Jahrgang ist unwesentlich, denn es geht um die Berufe unserer Kicker. Wie jedeR weiß, gab's in der DDR kein Profitum. Deshalb waren beispielsweise die Wismut-Recken die ganze Woche unter Tage, was den Vorteil hatte, daß bei eventuellen Abendspielen im Otto-Grothewohl-Stadion die Flutlampions ausgelassen werden konnten, da die BSG-Spieler auch ohne künstliche Beleuchtung genug Licht abstrahlten. Da lief der Hase in Karl-Marx-Stadt schon etwas anders, denn Bähre und Co. mußten am Fließband werkeln. Da gab es ein paar Intelligenzler (="Studenten", nämlich Hiemann, Birner, Illing, Steinmann, Wienhold, Mehlhorn und Seiferts Gerd), aber der Rest war Proletariat pur: Hans Richter, Stefan Persigehl und Jens Wälzer waren im richtigen Leben Maschinenbauer, Udo Fankhänel, Sven Köhler und Torsten Bittermann verdienten ihre Brötchen als Kfz-Schlosser, Detlev Müller war Werkzeugmacher, Heid, Kelle und Laude waren Facharbeiter, "Südamerikaeinkauf" Glowatzky war Kraftfahrer, Jens Schmidt Mechaniker, Steffen Ziffert Elektromonteur, und Uwe "Martha" Heß war - TUSCH! - Diplom-Ingenieur. Gegen Ende April gingen nun die FCK-Spieler immer mit gutem Beispiel voran, bastelten Winkelemente, malten Propagandalosungen auf überdimensionale Schilder (heute nennt man das Doppelhalter), agitierten KollegInnen und übten das Demonstrieren. Ich selbst konnte das Ergebnis dieser Bemühungen jedes Jahr am 1. Mai beobachten, wenn ich in voller GST-Montur auf der heutigen Bahnhofstraße (Höhe Contiloch) meine Fahne drei Stunden lang senkrecht hielt, weil wir die letzten waren und warten mußten, bis die "Werktätigen" an der Tribüne vorbeidefiliert waren. Hörte man beispielsweise den Sprecher mit einem feierlichen "Jetzt begrüßen wir die fleißigen Aktivisten aus dem VEB Webstuhlbau", dann ertönten sofort derart ohrenbetäubende "Martha! Martha!"-Sprechchöre, daß im naheliegenden Intershop die Marsriegel schmolzen. Wenn die KollegInnen aus dem VEB Buchungsmaschinenwerk angekündigt wurden, erschallten Hochrufe auf Jens Schmidt. Am Steuer des W50-Festwagens des VE Kombinat Baumwolle saß Michael Glowatzky. Und so weiter und so fort. Kein Wunder, daß dabei die Konzentration aufs Sportliche auf der Strecke bleiben mußte. Ein kurzer Blick auf die anderen Vereine verdeutlicht, daß der FCK der einzige Klub war, dessen Spieler so massiv in die Maidemo-Vorbereitungen eingebunden waren. BFC und DD saßen auf den Tribünen in Berlin und Dresden rum. Die FCV'ler zogen sich ihre K2 über, hockten sich auf einen LO und ließen sich in Frankfurt/Oder durch die Straßen fahren. Hansa war wie immer segeln; die Lokisten hatten die Ausrede, daß vom Leipziger Hauptbahnhof alle Gleise in den Norden führen, Prostheißa aber im Süden wäre und sie deshalb nicht wüßten, wie sie ins Stellwerk kommen sollten. Die Magdeburger Spieler versuchten im April regelmäßig, Zuschauerrekorde zu brechen. Und daß die Sachsenring-Truppe nicht arbeiten mußte, kann man daran ermessen, wie lange man in der DDR auf seine überdachte Zündkerze warten mußte. Kein Zweifel, daß es die Pappe im Überfluß gegeben hätte, wenn die Spieler in die Produktion gemußt hätten. Union und Chemie Leipzig wurden regelmäßig vorm 1. Mai verhaftet, damit es keinen Stunk mit den Lokalrivalen gibt. Deshalb waren diese Vereine vor und nach dem 1. Mai immer ausgesprochen ausgeruht. Energie Cottbus machte geltend, daß die Spieler bereits im Winter zur Beseitigung von Engpässen bei der Braunkohlenversorgung im Tagebau gewesen sind und deshalb nicht mit in die Maidemo-Vorbereitungen eingezogen werden dürfen. Das sollte eigentlich an Beispielen genügen. Es gab also zu DDR-Zeiten eine gewaltige Wettbewerbsverzerrung, bei der insbesondere die beiden Dynamo-Teams aus Dresden und Berlin beträchtlich bevorzugt worden sind. Am meisten benachteiligt wurde selbstverständlich der FCK. Deshalb erfahren die himmelblauen Märtyrer nunmehr späte Gerechtigkeit und Genugtuung, wenn die Ergebnisse, die von 1946 bis 1989 erzielt wurden, aus der Wertung fallen. Nicht davon betroffen sind freilich Siege, denn wenn man trotz Sklavenarbeit einen ausgeruhten Gegner niederringt, wäre es ein Unding, diesen Erfolg über das System (jawoll!) auch noch zu anullieren. Betrachten wir beispielsweise mal den 6:0-Erfolg über Buna Schkopau von 1982. Auf der einen Seite die FCK-Truppe: die Finger blutig vom Losungpinseln, Laubsägen und Scherenschnittbasteln, überall diese widerlichen Duosan-Rapid-Flecken auf dem Trikot. Auf der anderen Seite die Chemie-Kicker, in den Buna-Werken sporadisch bei der Verpackung von Oralturinabol eingesetzt. Ab und zu eine Packung "weggefunden" und schon stand die ganze Mannschaft unter dem Einfluß leistungssteigernder Mittel. Von wegen systematisches Doping!!! Die haben geklaut wie die Raben und das Zeugs wie Schokolinsen eingeworfen. Und dann schießen doch die himmelblauen Himmelsstürmer diese Betrügertruppe mit 6:0 von der Wiese... Wahnsinn!!! Übrigens war das nur die dritthöchste Niederlage der Schkopauer in jener Saison, und diesen dritten Rang mußten wir uns noch mit Rückwärts Frankfurt teilen...

So, ich denke, das genügt. Ein weiterer Meilenstein der objektiven, unvoreingenommenen Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Aus jener dunklen Zeit bleiben somit gerade mal 4 Spiele übrig, erstaunlicherweise alle gewonnen bei 11:2 Toren. Dazu kommen aus der Nachwendezeit 3 Spiele, ebenfalls alle gewonnen bei 7:1 Toren. Macht 7 Siege in ebensovielen Spielen bei 18:3 Toren (2,57:0,43 pro Spiel). Siegwahrscheinlichkeit für Samstag liegt bei 100%. Laut Statistik wahrscheinliches Ergebnis: 3:0. 3821 Zuschauer (davon 4 aus Verl), ein Wetter zum Heldenzeugen, eine lausige erste Halbzeit mit einem ebensolchen Schiedsrichter (Elfer für uns nicht gegeben). In der zwoten Halbzeit platzt der Knoten früh: 1:0 in der 52. Minute durch Biermann, der sein erstes Tor für den Club macht. 2:0 in der 69. Minute durch Rainer Krieg, der aus dem Gewühl heraus verwandelt. 3:0 durch Tchipev in der 73. Minute per Flachschuß von der Strafraumgrenze.

Amen.

Ritter Runkel.

Träger der Timur-und-sein-Trupp-Medaille in Himmelblau