Himmelblauer Zeitzeuge verschwindet aus dem Stadtbild

18.07.2007, 12:43 Uhr | 1952 Aufrufe
Wer in diesen Tagen am Chemnitzer Hauptbahnhof vorbeikommt, wird auf der gegenüberliegenden Seite vom Bahnhofsvorplatz ein altes Gebäude vermissen, welches viele Jahre als eine der besten Adressen des alten Chemnitz galt und jetzt nur noch als ein großer Haufen Bauschutt sein letztes Dasein fristet. Aber auch dieser wird in der nächsten Zeit abgetragen sein und somit nichts mehr an das "Hotel Carola" erinnern, welches 117 Jahre lang das Stadtbild am Hauptbahnhof mitbestimmte. Was das alles mit dem CFC zu tun hat? Sehr viel! Denn in den sechziger Jahren fungierte die Gaststätte des Hotels bis in die siebziger Jahre hinein als Club- und Vereinsheim des FCK (und dessen Vorläufer SCK), der im Gegensatz zu anderen Vereinen neben dem Stadion kein eigenes Vereinsheim hatte. Das Carola wurde in dieser Zeit, wo es als Treffpunkt für die FCK-Spieler und deren Fans fungierte, auch als Sporthotel bezeichnet. Mit dem "Hotel Carola" verschwindet ein himmelblauer Zeitzeuge, der in dieser Zeit sowohl eine Sternstunde des FCK als auch eines der schwärzesten Vereinskapitel miterlebt hat. Die zwei Stichworte lauten "Meisterschaft" und "Abstieg". Aber mal schön der Reihe nach erzählt...

Das Hotel
Der Bau des späteren "Hotel Carola" verlief in zwei Phasen. Als erstes entstand von 1865 bis 1867 an der Ecke Carola-/Bahnhofstraße die Stadtvilla des Chemnitzer Großindustriellen Johann von Zimmermann. Dieses Anwesen bekam 1884 einen neuen Besitzer, der es zum "Hotel Carola" umbaute. Sechs Jahre später wechselte erneut der Eigentümer und dieser, ein Hotelier, ließ rechts neben der Villa den Hauptbau des "Hotel Carola" errichten. Eben jenes Gebäude, welches in diesen Tagen abgerissen wird. In der DDR wurde das Hotel im Jahre 1958 als HO-Hotel neu eröffnet und im Kellergeschoß der Villa Zimmermann die stadtbekannte Gaststätte "Zum Goldbroiler" eröffnet. In den sechziger und siebziger Jahren fungierte die Hotelgaststätte als Treffpunkt des FCK. Zur Wendezeit fiel das Hotel in die Hände der Treuhand, wurde zum Spekulationsobjekt, wechselte mehrfach den Besitzer - und die Bausubstanz verfiel zusehends. Letzter Besitzer war die Volksbank Mittweida, die im Jahr 2006 von der Stadt Chemnitz mit Sicherungsmaßnahmen beauflagt wurde. Seit diesem Jahr gehört der Komplex nun einem Chemnitzer Investor, der die Villa Zimmermann sanieren und gastronomisch nutzbar machen möchte. Keine Rettung gab es leider für das "Hotel Carola", zu dessen Abriß die Stadt im Mai 2007 zähneknirschend eine 'denkmalschutzrechtliche Genehmigung' erteilte. Seit Juni verschwindet der himmelblaue Zeitzeuge nun Stück für Stück aus dem Stadtbild.

Die Meisterschaft 1967
Bis heute steht als einziger großer Erfolg auf dem Kopfbogen des CFC der kleine Text "DDR-Fußballmeister 1966/67". Ja, in diesem Jahr schafften die Jungs um Erler, Vogel und Feister das ganz große Ding und wurden mit 7 Punkten Vorsprung "Deutscher Fußballmeister der DDR" - so die damalige offizielle Bezeichnung. Bereits am 7. Spieltag hatte sich der Club mit einem 2:0 bei Lok Leipzig an die Tabellenspitze gesetzt, welche er bis zum letzten Spieltag souverän behauptete. Das entscheidende Spiel zum Meistertitel fand am 07.05.67 in Rostock statt. Manfred Lienemann ballerte in 19. Minute das Leder zum 1:0 in die Maschen - und machte den FCK damit zum Meister. Acht Punkte Vorsprung konnte niemand aufholen und in Karl-Marx-Stadt durfte vorzeitig gefeiert werden. Die Spieler, welche damals noch mit der Bahn reisten, wurden auf dem Hauptbahnhof (montags früh, 7.30 Uhr!) von über 5.000 Fans empfangen und euphorisch gefeiert. Die begeisterten Massen trugen die meisterlichen Jungs auf den Schultern in ihr Domizil, das "Hotel Carola", um dort gebührend zu feiern. Die Freie Presse berichtete am 09.05.1967 über dieses Ereignis:

5000 begeisterte Anhänger empfingen ihren FCK

War das ein Empfang für den Deutschen Fußballmeister! Bereits vor 7 Uhr hatten sich gestern die treuen Anhänger des FC Karl-Marx-Stadt auf dem Hauptbahnhof eingefunden. Als dann pünktlich 8.13 Uhr der D-Zug, aus Rostock kommend, eintraf, mögen es 5000 gewesen sein, die mit Gesang, Sprechchören und den blauweißen FCK-Fahnen die erfolgreiche Mannschaft begrüßten. Im Auftrag des Sekretariats der Bezirksleitung unserer Partei überreichten die Genossen Hermann Scheunert und Werner Bretschneider dem Kapitän Dieter Erler ein großes Blumenbukett. Genosse Rudi Reichert, Vorsitzender des DTSB-Bezirksvorstandes, Heinz Langer als Vertreter des Bezirksfachausschusses des DFV und Vertreter der SED-Stadtleitung überbrachten unter den "Heja-Heja-FCK" - Rufen ihre Glückwünsche. Schließlich zogen die 5000 vor das Sporthotel "Carola", ihre Spieler auf den Schultern tragend, wo der Präsident des FC Karl-Marx-Stadt, Genosse Werner Thomßen, zu einer ersten kleinen Ehrung eingeladen hatte. Tausende umlagerten das HO-Hotel, und erst als sich die Mannschaft erneut ihren Fußballanhängern zeigte, als Dieter Erler allen für ihre Treue zum FCK dankte, konnten Spieler, Trainer und Funktionäre einen Imbiß einnehmen und das Glas auf den neuen Deutschen Meister erheben.

Der Abstieg 1970
Nur drei Jahre nach dem Meistertitel war es vorbei mit der himmelblauen Herrlichkeit und das "Hotel Carola" sollte Zeuge eines enttäuschenden sportlichen Abstiegs und einer bis heute unglaublich erscheinenden Provokation von Anhängern des Erzrivalen aus Aue werden.

Die Saison 1969/70 begann für den FCK zwar hervorragend - mit einem 3:0 gegen Stahl Riesa war man am ersten Spieltag Tabellenführer, doch am 19. Spieltag begann die Katastrophe: 0:2 in Zwickau und Abrutschen auf den vorletzten Tabellenplatz. Von dort kam der Club bis zum 26. Spieltag nicht mehr weg und stieg somit aus der Oberliga in die DDR-Liga ab. Doch nicht nur der Abstieg schmerzte, es waren vor allem die Begleitumstände. Als man sich bereits in der prekären Tabellenlage befand, war es am 06.05.70 im Pokalhalbfinale gegen den FC Vorwärts Berlin zu Zuschauerausschreitungen gekommen, als Schiedsrichter Rudi Glöckner vier Minuten vor Schluß (Spielstand: 1:2) Abwehrrecke Frank Sorge vom Feld verwies. Die aufgebrachten Zuschauer sollen den Linienrichter mit der eigenen Fahne geschlagen haben. Sorge wurde für alle restlichen Spiele gesperrt und der Club mußte seine letzten beiden Heimspiele in fremden Stadien (Altenburg und Halle) austragen! Denkbar schlechte Voraussetzungen für den Klassenerhalt. Als I-Tüpfelchen des ganzen Dilemmas mußte der FCK im letzten Spiel (in Halle) ausgerechnet gegen den Erzrivalen Wismut Aue antreten.

Auf Seiten des Erzfeindes wurde diesem Spiel mit großer Freude entgegengesehen, konnte man doch das verhasste "Bezirksleistungszentrum" aus der Oberliga schießen. Zur damaligen Zeit gab es in der DDR immer wieder politische Bestrebungen, die besten Fußballer in wenigen Vereinen zu konzentrieren, in dem diese dorthin "delegiert" wurden. Aber auch ganze Mannschaften konnte dies betreffen: So "delegierte" man 1954 Empor Lauter nach Rostock und stampfte dort den FC Hansa aus dem Boden. Ebenfalls 1954 wurde die erste Mannschaft der SG Dynamo Dresden nach Berlin "delegiert", um dort als SC Dynamo (später BFC Dynamo) aufzulaufen. So kam es nicht von ungefähr, daß man im Bezirk Karl-Marx-Stadt versuchte, den erfolgreichen SC Wismut in Karl-Marx-Stadt auflaufen zu lassen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch und der Verein spielte weiterhin in Aue. Da es mittlerweile aber auch den SC Karl-Marx-Stadt gab, versuchte man, Auer Spieler (Erler, Zeidler, Göcke, Hambeck) zum Wechsel zum SCK zu bewegen. Der Grundstein der ewigen Feindschaft beider Lager war gelegt. Kein Wunder also, daß man in Aue darauf brannte, den FCK in die DDR-Liga zu schießen.

In einem Auer Fanszine aus dem Jahr 2004 heißt es dazu: "Der Transportbetrieb der SDAG Wismut hatte für damalige Verhältnisse eine sensationell gute Idee. Es wurden die bereits ausrangierten alten Sattelschlepper wieder flott gemacht und für sechs Ostmark konnte man dabei sein. Wie viele derartige Rumpelkisten dann unterwegs waren, kann ich nicht mehr sagen. Auch der VEB Kraftverkehr war noch mit Bussen am Start. Jedenfalls waren Menschenmassen an diesem Vormittag in der Auer Innenstadt unterwegs, denn dieses Schauspiel wollten viele miterleben: Der mögliche Abstieg des FCK lag in der Luft. Welche Bedeutung Aue dieser Begegnung beimaß, ist schon daran zu erkennen, dass der alte Wismut-Kämpe Lothar Killermann noch einmal reaktiviert wurde."

Tatsächlich verlor der FCK am 30.05.70 das Bezirksderby gegen Aue mit 1:2 (zum Verbleib in der Oberliga hätte man 4:1 gewinnen müssen), und die zahlreichen Wismutfans ergötzten sich derart am Abstieg der Bezirksstadt, daß sich sogar die Fachzeitung "FuWo" genötigt sah, einige negative Anmerkungen zu machen. Doch dies reichte einigen lilanen Anhängern noch nicht. Ein paar ganz Eifrige hatten zwei Särge (!) gebastelt, die nach dem Spiel beim Zwischenstop in Karl-Marx-Stadt an zwei neuralgischen himmelblauen Punkten abgestellt werden sollten: Dem "Hotel Carola" als bekannten FCK-Treff und am Stadion an der Reichenhainer Straße. In den Auer Fanbussen gelangten die Särge auf Rückfahrt aus Halle nach Karl-Marx-Stadt. Der Erste wurde nach einem "Trauermarsch" vor dem Sporthotel Carola abgesetzt, wobei die "Abschlußkundgebung" raschen Besuch von Personen in Zivil (Stasi) und in grünen und blauen Uniformen (Polizei und Transportpolizei) bekam. Mit dem zweiten Sarg sollte am Ernst-Thälmann-Stadion sogar eine "Feuerbestattung" durchgeführt werden, aber auch hier verhinderten Stasi und Polizei die Ausführung der Schandtat.

Im Übrigen wurde der torgefährliche Linksaußen Eberhard Vogel, seines Zeichens Nationalspieler der DDR, unmittelbar nach dem Abstieg des FCK zum FC Carl-Zeiss Jena "delegiert", womit auch der FCK seinen Teil (später auch mit Hans Richter) zum DDR-Fußball beitragen mußte.

Quellen: Archiv der Chemnitzer Tageszeitung "Freie Presse"; Buch "100 Jahre Chemnitzer Fußball"; Zeitzeugen (Peter Müller, Eberhard Schuster); Buch "Chemnitz - so wie es war"; Buch "Chemnitz - meine Stadt in meinen Bildern"; FCE-Fanszine "Grubenfeuer"; FuWo-Jahrgänge 1967 und 1970

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